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KEIN NACHWORT
 



 

Anstelle eines Nachworts:

Der eigene Garten
Dem Andenken meiner verstorbenen Frau

andere
werden weiter fliegen
ich bleibe
mir ist
der wechselnde himmel genug.
Doris Runge

Seine Form ist ungewöhnlich. An der kleinen Dorfstraße ist der Garten ganze fünf Meter breit und bietet gerade genug Platz für die Einfahrt. Von hier aus aber öffnet er sich trichterförmig nach Westen, um dann in breiter Front an den Elbe-Seitenkanal zu grenzen. Das rote Backsteinhaus sperrt wie ein Riegel den kleinen Vorgarten vom großen Garten hinter dem Haus ab. Seine Schmalseiten greifen den Verlauf der Grundstücksgrenzen auf, so dass das Haus kein Rechteck bildet, sondern sich zum Garten hin öffnet. Von der Straße aus fällt der Blick auf ein kleines Haus in sachlich klassizistischen Formen. Das Backsteinmauerwerk wird von der weißen Eingangstür und den Fenstern gegliedert, deren bescheidene Ausmaße durch je eine Quersprosse noch betont werden. Die steile blaugraue Dachfläche wird von zwei schmalen Gauben belebt, in ihrer Ruhe aber nicht gestört. Mit den Dachgauben korrespondieren die beiden behäbigen Buchsbaumkugeln rechts und links der Haustür. Die Größe des Hauses an der Westseite zum Garten hin lässt sich von hier aus nicht erahnen.

Im Westen erscheint das Haus fast doppelt so breit mit zwei kurzen, vorspringenden Seitenflügeln, deren südlicher ganz vom Wohnzimmer eingenommen wird, während sich den nördlichen die Garage und der überdachte Sitzplatz teilen. Dazwischen liegt die geschützte, sich zum Garten hin öffnende Terrasse. Auch von den Orten im Haus, an denen man sich meistens aufhält, Wohnzimmer, Essplatz, Küche und Arbeitsplatz unter dem Dach, fällt der Blick stets in den Garten. Volker Hille, der Architekt aus Bad Bevensen, hat geschickt eine ostwestliche Achse von der Eingangstür zur Terrassentür gezogen, an die sich beiderseits zwei symmetrische Haushälften anschließen. Der Besucher, der das Haus durch die Eingangstür betritt, kann als Erstes durch die Fenster der Terrassentür den Garten sehen. Haus und Garten sind nahezu perfekt miteinander verbunden, so dass der Garten im Sommer zum zweiten Wohnraum werden kann. Über die Terrasse hinaus bieten sich im Grünen drei weitere Sitzplätze an, die je nach Wetter und Tageszeit zur Auswahl stehen.

Ein paar Blumenbeete und eine kleine Rasenfläche schließen sich an das Haus an, die nach Südwesten zungenförmig zu einer kleinen Wiese ausgreift, auf der im zeitigen Frühjahr die Wildkrokusse blühen. Von hier steigt das Gelände nach Westen und Norden leicht an. Den höchsten Punkt bildet ein Grabhügel aus der Bronzezeit, der von hohen Eichen umstanden wird und an heißen Sommertagen als schattiger Sitzplatz dient. Von einer Bank am Kanal fällt der Blick auf das Wasser und die vorbei fahrenden Schiffe. Auf den Beeten am Haus stehen pflegeleichte ländliche Blumen. Winterlinge und Schneeglöckchen eröffnen zusammen mit den Wildkrokussen auf der Wiese die Saison. Bald folgen Märzenbecher, Primeln und Anemonen. Tulpen, Glockenblumen, Phlox, Katzenminze, ein paar Rosen, Storchschnabel und Indianernessel setzen den Blütenreigen fort. Buchsbaumkugeln und ein paar blühende Sträucher treten hinzu, nichts Ungewöhnliches. Nur ein paar ausländische Gehölze ergänzen den Bestand: Der Ginkgo, Ginkgo biloba, die Weiße Himalaja-Birke, Betula utilis var. jacquemontii, Siebolds Magnolie, Magnolia sieboldii, Sternmagnolie, Magnolia stellata, und Magnolia 'Susan', eine Kreuzung von Magnolia liliiflora 'Nigra' und Magnolia stellata 'Rosea'. Hinzu kommen der der Fächer-Ahorn, Acer palmatum, der Zimt-Ahorn, Acer griseum, die Gehölzpäonie, Päonia rockii, der Japanische Blumen-Hartriegel, Cornus kousa, die Chinesische Blumenhartriegel, Cornus kousa var. chinensis, auch mit rosaroten Hochblättern, Cornus kousa var. sinensis 'Satomi'. Der Duftschneeball, Viburnum farreri, ist ebenso vertreten wie die Zaubernuss, Hamamelis, in verschiedenen Sorten, die Kolkwitzie, Kolkwitzia amabilis, die Weigelie, Weigela florida, die Duharische Radspiere, Exocorda griraldii, und der Hibiskus, Hibiscus syriacus. Die lange an den Zweigen haftenden Früchte des Toringo-Apfels, Malus toringo, auch Siebolds Apfel, Malus sieboldii, genannt, dienen im Winter vor allem den Finken als Nahrung

Der größte Teil des 3200 qm großen Grundstücks hat seine Nähe zur Natur behalten. In dem kleinen, parkähnlichen Wäldchen geben die großen Stieleichen den Ton an. Wenige Kiefern, Birken, Eiben, Feld- und Bergahorn leisten ihnen Gesellschaft. Im zentralen Teil des Gartens stehen die Bäume so licht, dass unter ihnen Rotschwingel und andere Gräser einen Teppich bilden können. In schattigen Winkeln haben sich Farne angesiedelt. Malerisch geben sich vom Frühjahr bis zum Herbst die vielen Blumen, die sich immer wieder selbst aussähen, jedes Jahr in etwas anderer Verteilung: Winterlinge, Scilla und Anemonen machen den Anfang. Es folgen Vergissmeinnicht, Große Sternmiere, Mondviole, Akelei, Fingerhut und zuletzt die violetten und weißen Vexiernelken. Diese Blumen betonen den halb wilden Charakter des Gartens und passen am besten zu ihm. Geschwungene Pfade durchziehen das Gelände. Eine schmale Sichtachse, die vom Haus zum Kanal führt und von Säulen- und Kegeleiben paarig gesäumt wird, geben dem Garten Halt. Hecken aus Weißdorn, Schlehe, Feldahorn, Haselnuss, Buche und Weißbuche, Liguster, Hundsrose, Pfeifenstrauch und Ilex schirmen den Garten nach außen ab.

Die Sammlung von Ebereschen bildet einen deutlichen Schwerpunkt. Die Bäume mit den fein gefiederten Blättern fügen sich in das Wäldchen ein, ohne ihm einen exotischen Charakter zu geben. Und doch setzen die einzelnen Arten mit der kräftigen Laubfärbung im Herbst von Orange über Kupfer bis Purpur kräftige Akzente, die von den unterschiedlichen Farben der Früchte von Weiß, Rosa, Orange, Rot, Goldgelb und Violett noch verstärkt werden. Die Gewöhnliche Eberesche, Sorbus aucuparia, kommt im Garten natürlich vor. Zu ihr gesellen sich aus der Himalajaregion Himalaja-Eberesche, Sorbus cashmiriana, und die Sorbus spec. ’Ghose’. Die meisten Arten sind in China beheimatet: Chinesische Eberesche, Sorbus serotina, Sargents Eberesche, Sorbus sargentiana, und Vilmorins Eberesche, Sorbus vilmorinii, die Weißfrüchtiger Eberesche, Sorbus koehneana, die Leiter-Eberesche, Sorbus scalaris und Forrests Eberesche, Sorbus forrestii. Die Hupeh-Eberesche, Sorbus hupehensis var. obtusata, ist in der chinesischen Provinz Hupeh zu Hause und die Zwerg-Eberesche, Sorbus reducta, in Westchina und Myanmar. Aus Japan und Sachalin kommt die Japanische Eberesche, Sorbus commixta. Die Labrador-Eberesche, Sorbus decora, vertritt Nordamerika. Arnolds Ebereschen, Sorbus x arnoldiana ’Golden Wonder’ und Sorbus x arnoldiana ’Kirsten Pink’, sind Hybriden. Die botanische Zugehörigkeit von Sorbus ’Joseph Rock’ ist ungeklärt. Ergänzt wird das Sortiment durch die Gewöhnliche Mehlbeere, Sorbus aria, die Thibet-Mehlbeere, Sorbus aria thibetica ’Mitchellii’ und die Schwarzmeer-Mehlbeere, Sorbus aria ’Kusnetzowii’.

Zu den Besonderheiten zählen ein paar Kunstwerke. In der Nähe des Hauses stehen die beiden Steinskulpturen „Haus“ und „Turm“ des Berliner Bildhauers Klaus Rieck. Der Kopf von Timm Ulrichs aus Münster liegt in einem Steinmäuerchen am Rande eines Blumenbeetes und auf der Krokuswiese vollführt das kinetische Objekt von Michael Hischer gemessene Bewegungen. Unter den Bäumen haben sich der Bronzeguss „Rückblick“ von Norbert Marten aus Oldenburg, die beiden Tonskulpturen ohne Namen von Norbert Prangenberg aus Köln und das stählerne Skulpturenpaar „Kleines Tal“ von Georg Münchbach versammelt, der ganz in der Nähe in Wittenwater lebt. Erst kürzlich, 2010, ist die Arbeit "Ein unbestimmter Zustand der Ruhe" von HAWOLI hinzugekommen. Die Kunst ist Teil des Gartens geworden, fügt sich friedlich ein. Sie gehört zu ihm und betont seinen artifiziellen Charakter, der oft missverständlich übersehen wird, wie es auch den natürlich anmutenden englischen Landschaftsgärten leicht geschieht.

Es ist ein persönlicher Garten, in dem es sich mit Wohlbehagen in Ruhe leben lässt. Sein halb wilder Charakter widertspricht nicht nur der Absicht, die Natur dressieren zu wollen. Er entspringt auch dem Wunsch, die Gartenarbeit in Grenzen zu halten. Die Sitzecken, Bänke und Liegen laden denjenigen zum Verweilen ein, der die Stille der Natur mag wie ihre moderaten Laute, den Gesang der Vögel, das Rauschen der Blätter oder das Summen einer Hummel. Hier kann man bei Kaffee und Kuchen, bei einer Flasche Wein mit Freunden fröhlich sein. Vor allem aber kann man seine Gedanken schweifen lassen oder sich in ein Buch vertiefen. Der Garten verleitet zur Kontemplation. Gelegentlich führt er auch in die Einsamkeit. Dann ist es gut, dass das beschauliche kleine Dorf nicht aus der Welt ist, zum Stadtrand von Uelzen gehört, so dass man in zehn Minuten den Hundertwasser-Bahnhof erreicht und von hier aus in einer Stunde in Hamburg oder Hannover und in weniger als zwei Stunden in Berlin sein kann.